Tagebuch: 26.01.19

Zahlen und Fakten. *Sitzt neben dir auf der Parkbank* Meine Mama hat immer gesagt, das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt. So gibt es zum Beispiel eine maligne Erkrankung des Lymphsystems, die nennt sich Hodgkin-Lymphom. Dieses wird histologisch durch das Auftreten spezieller Sternberg-Reed-Zellen vom Non-Hodgkin-Lymphom abgegrenzt. Nur etwa 0,4% der Bevölkerung erkranken daran, statistisch gesehen mehr Männer als Frauen und häufig im jungen Erwachsenenalter. Das klassische Hodgkin-Lymphom wird in verschiedene Typen kategorisiert, von welchen wiederum der nodulär-sklerosierende Typ mit rund 80% am häufigsten auftritt. Schwellungen der Lymphknoten bleiben oft unbemerkt, vor allem wenn das wie bei mir im vorderen Mediastinum der Fall ist. Dort spüre ich nicht so oft hin. Spürbar sind dann aber sogenannte B-Symptome, die auftreten können, aber nicht müssen und sehr unspezifisch sind. Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme, Leistungsminderung. Eventuell Splenomegalie.

Die Diagnose erfolgt zunächst durch eine Kontrolle der Blutwerte. Eine Leukozytose, Lymphopenie sowie ein hoher CRP-Wert indizieren eine Erkrankung. Zudem auch eine Anämie und damit einhergehender Eisenmangel bei gleichzeitig erhöhtem Ferrtinwert. Im weiteren Verlauf folgt ein Staging zur Bestimmung des Krankheitsstadiums, hierfür kommen diverse bildgebende Verfahren wie Thorax-Computertomografie, Sonografie und Magnetresonanztomografie zum Einsatz. Anschließend werden durch Biopsien wie Feinnadelpunktion in den Brustkorb (hatte 2) oder direkt Mediastinoskopie oder Mediastinotomie (hatte 1, war toll und mir wurde sogar ein Stück Rippenknochen entfernt, das ich leider nicht mit nach Hause nehmen durfte.) Gewebeproben zur hist-pathologischen Untersuchung entnommen. Sind alle Informationen zusammengetragen, erfolgt ein Staging gemäß Ann-Arbor-Klassifikation, welche die Erkrankung in 4 Stadien einteilt: I bis IV eben, je nach Status mit zusätzlichen Vermerken für Risikofaktoren wie bulk, B-Symptome, hohe BSG und so weiter.

Dementsprechend wird gemäß fester Protokolle eine entsprechende Therapie eingeleitet, die aus Chemotherapie und Strahlentherapie besteht. Hierbei kommen standardmäßig die Schemata BEACOPPesk sowie ABVD zum Einsatz, welche sich in festen Zyklen je nach Protokoll wiederholen. Ein Zyklus sind bei mir 3 Wochen, ich bekomme voraussichtlich 6 Zyklen. Das alles geschieht ambulant und dauert je Therapietag zwischen 2 und 4 Stunden. Jeder Zyklus beinhaltet 4 Therapietage. Das macht also 6 Zyklen mal 4 Tage gleich 24 Termine in der Therapieambulanz der Medizin 5, der onkologischen Therapieambulanz des Universitätsklinikums Erlangen. Dort sind alle ganz nett. Weitere Termine sind nötig, wenn während der Therapie etwa die Blutwerte zu sehr abfallen. So werden beim Hausarzt mittels kleinem Blutbild jede Woche 2 mal Leukozyten (Normalwert t3.800-10.500/µl), Thrombozyten Normalwert 140.000-345.000/µl und Hämoglobin (Normalwert13,5-17 g/dl) kontrolliert. Bei zu niedrigen Werten wird kurzfristig mit Blutkonserven stabilisiert oder eine Pause der Therapie verordnet.

Die Prognose für das Hodgkin-Lymphom ist überraschend gut, die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt mittlerweile bei über 90%, auch für fortgeschrittene Stadien. Mehr einfach verständliche Infos folgen.

Tagebuch: 25.01.19

Neue AU-Bescheinigung fast verschwitzt. Mit Krankenkasse telefoniert, alles ok. Nette Dame in der Leitung beim Beenden des Gesprächs: „Na dann Herr Lock, halten Sie die Ohren steif!“. Erfrischend normal.

Tagebuch: 24.01.19

Soweit alles ok. Bin übertrieben aktiv durch Eigenmotivation und die tägliche Dosis Prednisolon. Weiterhin 90mg, Blutwerte passen, daher keine Anpassung notwendig. Soll mir recht sein. Nach dem Frühstück gibt es also wie immer eine Handvoll erlesener Pillen und der Tag kann starten. Ab Mittag kickt das Kortison und es geht rund.

Vormittags etwas Abwasch, Wäsche waschen, Wohnung aufräumen, normales Hausmanns-Pensum. Gegen Mittag finde ich meist irgendwas zum umräumen, einsortiern, umorganisieren, rumschieben und aufhängen. Danach oft technische Phase: Festplatten synchronisieren, Fotos katalogisieren, Kleinanzeigen checken, Cloudspeicher bereinigen, Backups machen. Irgendwas ist immer zu tun. Dazwischen ganz gewissenhaft eine Stunde Spaziergang an der kalten Luft und ein paar Liegestütze oder Crunches, je nach Verfassung halt. Nicht wirklich als Sport zu betiteln, aber besser als nichts und es hilft schon sehr.

Gegen Nachmittag drehe ich richtig auf und räume auf dem Dachboden oder im Keller rum. Zwischendurch ein Glas frischen Tomatensaft den mir die Nachbarin bringt. Für die Gesundheit. Ungespritzt, direkt aus dem Garten. Ergänzt sich gut mit den 200mg Natulan, der oralen Chemo. Abends, bevor ich zum Glück langsam wieder runterfahre, versuche ich, hier und da ein wenig zu lesen. Zum Beispiel die ganzen alten Studienunterlagen aus dem Ingenieurstudium. Muss das Wissen über thermodynamische Hauptsätze und werkstoffabhängige Produktionsverfahren auffrischen. Wer weiß, wann ich das wieder brauche. Kann jederzeit soweit sein. Dann eine Stunde Dschungelcamp und Hirn wieder auf null.

Tagebuch: 17.01.19

Dinge, die ich in der Apotheke aus Mitgefühl geschenkt bekomme, wenn ich Medikamente abhole:

  • 3 Packungen Ricola Bonbons
  • 4 kleine Keramikengel mit LED-Lämpchen innen
  • 1 Flasche Rabenhorst Saft Traube & Schwarze Johannisbeere
  • 7 Päckchen Taschentücher
  • 2 Fotokalender für 2019

Liste wird fortgesetzt.

Tagebuch: 14.01.19

Gerade nichts zu tun und mit Olga in die Innenstadt gefahren, ein Geschenk für eine Freundin suchen. Also eigentlich sucht sie, die ein, zwei Sachen die ich brauche, hab ich nach fünf Minuten gefunden. Ein großes Blatt Bastelfilz, um mir daraus eine Hülle fürs MacBook zu basteln. Ablenkung halt. Innenstadt ist aber auch scheisse. Vor allem hier in Nürnberg. Leute scheisse, Läden scheisse, Architektur scheisse, alles scheisse. Außerdem tröpfelt es schon wieder.

Gesundheitlich heute ganz gut drauf, Lymphknoten am Hals schmerzen etwas. Wohl noch von der Lonquex-Spritze.

Schaffe hoffentlich diese Woche noch, mal wieder einen Satz Bilder und ein paar Hintergrundinfos zu meiner Erkrankung zu posten.

Tagebuch: 12.01.19

Heute früh um 7 Uhr aufgewacht vom Nachbarn der unten den Schnee vom Gehsteig schiebt und direkt ganz warm und behütet gefühlt.

Habe die Kategorien hier wieder fusioniert. Text und Bild, alles gehört zusammen.

Tagebuch: 10.01.19

Verwahrlose scheinbar etwas. Mich stört es nicht. Kann mich gut ablenken daheim. So stelle ich zum Beispiel nach und nach alles an Haushaltsgeräten, Computerkram und sonstigem überflüssigen Unrat, der sich über die Jahre als gut gemeinte Geschenke oder Mitbringsel in allen Regalen und Schubladen auf Dachboden, im Keller und der Wohnung ansammelt, bei eBay Kleinanzeigen ein. Sogar schon bisschen Umsatz gemacht. Heute kam mittags eine junge Frau einen Artikel abholen. Die war ziemlich schnell wieder weg. Sehe jetzt ohne Haare und mit heller Haut auch recht autoritär aus. Was wiederum die Adidas-Jogginghose eigentlich aufheben sollte. Aber das leicht fleckige T-Shirt wars wohl. Kann sie ja nicht wissen, dass ich aufgrund der starken Medikation recht gereizte Schleimhäute habe und dadurch immer mal Nasenbluten bekomme. Dafür hat sie jetzt ein leicht gebrauchtes Siemens Gigaset AS285 für 10 Euro. Habe dann aber doch lieber wieder was dunkles angezogen.

Die letzten Tage waren sonst ganz erholsam und ich war viel an der frischen Luft. Nachts zwei Stunden immer wieder abwechselnd Krämpfe unten am Fuß und Olga, die mich anstupst, weil ich schnarche. Vielleicht hilft etwas Magnesium.

Tagebuch: 05.01.19

Heute nacht ziemliche Bauchschmerzen. Dazu Wärmflasche beim Befüllen ausgerutscht und die Leiste verbrüht. Ganz schön was geschafft. Wetter heute richtig mies, Pläne für ausgiebigen Spaziergang verschoben. Olga ist sauer, aber ich muss halt aufpassen. Erstmal auf die Couch.

Tagebuch: 04.01.19

Schreibe jetzt auch kurze Einträge vom Iphone aus. Bequemlichkeit ist Trumpf, durch die viele Zeit daheim versuche alle möglichen Prozesse zu optimieren, vereinfachen, entschleunigen. Überflüssig aber macht Spaß.

Zudem wird die Wohnung immer schicker da mir ständig was neues einfällt zur Einrichtung.

Mittlerweile die Hälfte des zweiten Zyklus geschafft, gestern wie immer in der zweiten Woche des Zyklus das Vincristin gespritzt bekommen. Mögliche Komplikation Lungenfibrose und das wars dann. Darf man gar nicht drüber nachdenken. Aber kann überall alles passieren, also was solls. Geht mir den Umständen entsprechend gut. Ohne akute Chemo die den Körper zerballert wirkt diese Woche vor allem das Kortison und lässt mich nicht schlafen. Ab und zu etwas Bauchweh, vielleicht vom Ciprofloxacin gegen bakteielle Infekte. Aber Novalgin und Pantoprazol regeln. Ein buntes Potpourri an Medikamenten. Hab aber auch einen Apfel gegessen, zum Ausgleich.

Tagebuch: 01.01.19

Olga sagt, ich soll doch nicht immer so neutral sein. Ich bin doch kein Gegenstand.

Tagebuch: 27.12.18

Entgegen meiner Befürchtungen habe ich mich in der letzten Woche schon fast sensationell erholt. Quasi alle Nebenwirkungen sind langsam abgeklungen. Keine gereizten Schleimhäute, Verdauung ok, Hunger gut, wieder 2kg zugenommen, Schlaf auch besser. Weihnachten war tatsächlich eines der schönsten der letzten Jahre. Stimmt schon, durch solch einschneidende Ereignisse weiß man plötzlich gerade die einfachen, banalen Dinge mehr zu schätzen. Erstmal Facebook von allen Mobilgeräten gelöscht. Zurück zu einfachen Sachen. Ein Buch lesen, Blog schreiben. Werde weich. Fühlt sich aber richtig an.

Während ich hier schreibe und dabei immernoch Weihnachtslieder höre um den unglaublich nervigen Patienten im Behandlungszimmer auszublenden, der zum fünften Mal allen anderen Patienten, Schwestern und Ärzten von seinem neuen Motorrad erzählt, das er ja so günstig ergattert hat, währenddessen läuft bereits die nächste Ladung Chemo und der zweite Zyklus BEACOPPesk beginnt. Spätestens heute Abend bin ich wieder total platt für die nächsten zehn Tage. Aber immerhin mit der Gewissheit, dass nach dem Tief wieder ein Hoch kommt. Vielleicht gehe ich sogar nochmal in den Wald später. Einfache Dinge.

Tagebuch: 21.12.18

Zwinge mich zur Weihnachtsstimmung, was mit viel Gedudel im Radio und kiloweise Kokoksmakronen erstaunlich gut klappt. Nebenwirkungen vom ersten Zyklus werden weniger, nehme in der dritten Woche ja nur noch alles möglichen gegen Bakterien, Viren und Pilze. Kopf wird etwas ruhiger ohne Cortison, dafür setzen aber wieder Schmerzen hier und da ein. Hinnehmbar, alles auf einmal geht halt nicht. Immerhin tut die Neulasta-Spritze was sie soll und meine Leukoyzten sind von 350 auf 22.000 geschossen. Kann also wie geplant weitergehen nächste Woche. Bis dahin ist eigentlich nur möglichst viel essen geplant, da kommen mir die Feiertage ganz gelegen.

Tagebuch: 18.12.18

Heute relativ gut und fit gefühlt. Aber Knochenschmerzen wie ein alten Mann. Leukozyten immerhin wieder bei 5000. Langer Spaziergang hat gut getan und das sonnige Wetter hebt die Stimmung.

Tagebuch: 16.12.18

Erster Schnee das Jahres. Ohrensausen beim Aufstehen. Den ganzen Tag bei der Familie verbracht, Rouladen, Nudeln, Plätzchen, viel Tee. Schaffe 3 Liter am Tag. Zudem leichte Knochenschmerzen durch die Filgrastrim-Spritze, die die Bildung neuer Leukozyten anregt. Eigne mir zunehmend ganz gutes Fachwissen an. Könnte ich aber auch drauf verzichten.

Tagebuch: 15.12.2018

Zwei Wochen rumgebracht. Nicht viel angesichts kommender Herausforderungen, aber irgendwie, von Tag zu Tag, gehts es weiter. Habe gerade in den ersten Nächten unter Einfluss der Chemotherapie viel Verrücktes geträumt. Von Chinesen und einem Hotel und Karl Lagerfeld, der jetzt Onkologe ist und mir bescheinigt, wieder ganz gesund zu werden. Aber das scheint wohl so zu sein. Immerhin schlafe ich ganz ok, wenn auch meist nur im Takt von 2 Stunden. 90mg Prednisolon am Tag knallen einfach ohne Ende und machen mich unruhig und depressiv.

Komme gerade von einem Spaziergang und fühle mich recht gut. Die Lethargie und das Nichtstun sind für mich größere Belastungen als die physischen Nebenwirkungen glaube ich. Ablenkung ist alles und ich versuche in kleinen Etappen kleine Projekte umzusetzen. So haben wir angefangen, das Esszimmer zu streichen. Schaffe eine viertel Wand und lege mich dann eine Stunde hin. Bin zufrieden mit dem Schnitt.

Bin noch gar nicht sicher wie es hier mit den Texten weitergeht. Schwanke zwischen vollständiger Löschung und detailliertem Tagebuch mit Hintergrundinfos, Tips und wirren Anekdoten. Vielleicht auch ein Mittelding.